Ja, du hast richtig gelesen: Eine Zumutung!
Aber fangen wir vorne an: Erinnerst du dich noch an deinen Sandkastenfreund? Der, mit dem du im Kindergarten oder nachmittags auf dem Spielplatz Stunden verbracht hast, gelacht hast, dich um die Schüppe oder das Sieb gestritten hast und 3 Minuten später vergnügt ein Eis gegessen hast? Mit dem du dich jeden Nachmittag zum Bolzen auf dem Sportplatz verabredet hast und das runde Leder ins eckige Alu befördert hast? Oder an die Freundin mit der du endlos Puppen frisiert hast, gebastelt oder Mutter-Vater-Kind gespielt hast?
Erinnerst du dich auch noch an deine beste Freundin oder deinen besten Kumpel aus deiner Jugend? An den Menschen, der viel mehr von dir wusste, als deine Mutter je zu träumen gewagt hat? Der Mensch, auf den du nichts hast kommen lassen? Mit dem du nach Möglichkeit jede Minute deiner Freizeit verbracht hast? Der Mensch, der dich bei Liebeskummer getröstet hat und all deine Geheimnisse kannte?
Was ist aus diesen Freundschaften geworden? Gibt es diese Menschen noch in deinem Leben? Und wen bezeichnest du heute als deinen Freund/ deine Freundin?
Wir machen in unserem Leben verschiedene Phasen der Freundschaft durch: Im Kindesalter wählen wir unseren Spielfreund schlichtweg nach Sympathie aus, oft mit dem einfachen Zweck, nicht alleine zu sein. Je älter wir werden desto wichtiger scheinen gemeinsame Werte in einer Freundschaft zu sein. In der Pubertät sind es die "guten Gespräche", die insbesondere Mädchen mit ihrer besten Freundin führen möchten. Es kommen Verlässlichkeit, Ehrlichkeit und die Bereitschaft zu unterstützen als wertvolle Eigenschaften hinzu.
Der griechische Philosoph Aristoteles beschrieb Freundschaft als ein ureigenes menschliches Bedürfnis von Geben und Nehmen. Er machte vor knapp 2400 Jahren drei Arten von Freundschaften aus, von denen zwei sich lediglich am Nehmen orientieren und damit nicht unbedingt erstrebenswert, aber auch nicht vermeidbar und zwingend schädlich sind:
- Die interessierte Freundschaft - eine Freundschaft, die darauf beruht, dass mindestens eine Person einen Nutzen von dieser Beziehung hat: Nicht alleine sein, bessere Schulnoten, einen besseren Kontakt zu anderen Personen, seinen eigenen Freundeskreis vergrößern, die Kompetenzen des anderen nutzen, um Geld zu sparen.... Diese Art der Freundschaft ist dir sicher auch (mehrfach) begegnet. Wenn DIR dieser Mensch allerdings aufrichtig wichtig gewesen ist und dein Interesse an ihm echt war, ist deine Enttäuschung sicher groß gewesen, dass du nur ein Mittel zum Zweck warst. Vielleicht kennst du das aber auch andersrum...!?
- Die Freundschaft, die nur auf Vergnügen basiert - wir brauchen sie alle: eine lockere Beziehung zu Menschen, mit denen wir was Nettes unternehmen können, ohne weitere Verpflichtungen. Eine Party hier, ein Grillabend da - mehr nicht. Wenn´s ernst wird, würden wir diese Personen sicher nicht auswählen, um ihnen von unseren Krisen oder gar Schwächen zu berichten. Und ganz by the way: Diese Personen würden sich auch ganz schnell verkrümeln, weil sie das gar nicht wissen wollen - viel zu anstrengend!
Und dann gibt es
3. noch diese eine Freundschaft, Aristoteles nennt sie im übertragenen Sinne "die perfekte Freundschaft" - eine Freundschaft die auf wahrem Interesse an der anderen Person und auf Wertschätzung basiert, die Vergnügen beinhaltet, aber nicht darauf aufbaut, die auch einen Nutzen hat, aber der Nutzen nicht der Zweck der Freundschaft ist.
Spaß können wir mit unzähligen Menschen haben, dafür brauchen wir keinen Freund.
Ein Freund aber ist jemand, der dann für dich da ist, wenn du selbst nicht mehr an dich glaubst. Der dann Verantwortung übernimmt, wenn du selbst nicht dazu in der Lage bist. Ein echter Freund spielt den Bad Cop, wenn du es gefühlt am wenigsten gebrauchen kannst, aber nicht um dir zu schaden, sondern um dich zu schützen oder dich weiterzubringen. Ein echter Freund motiviert dich dann, wenn du selbst schon nicht mehr weißt, was dein Ziel eigentlich war. Ein echter Freund ist ein Mitstreiter, der dir nicht nach dem Mund redet, sondern bei dem auch mal die Fetzen fliegen dürfen, ohne dass die Beziehung direkt in Frage gestellt wird. Ein echter Freund schaut hinter deine Kulissen. Er ist daran interessiert, dass es dir gut geht!
Und damit kommen wir zur Zumutung: Wenn wir uns selbst einen Freund wünschen, der immer für uns da ist - und mit immer meinen wir ja vor allem dann, wenn´s schwierig, kompliziert und anstrengend wird -, wenn wir uns wünschen, dass es jemanden gibt, der ehrlich und aufrichtig zu uns ist, uns nicht ins offene Messer laufen lässt, dem wir vertrauen können, dann können wir davon ausgehen, dass der andere sich das genau so von uns wünscht. Und damit klingt Freundschaft schon gar nicht mehr so nett und blumig. Dann kann Freundschaft eine echte Herausforderung sein. Wer sagt schon gerne einem Menschen, dass er hier und da Scheiße gebaut oder übertrieben hat? Das kann großes Potenzial haben, uns extrem unbeliebt zu machen.
Freundschaft ist alles, aber nicht bequem! Freundschaft kann eine echte Belastung sein. Freundschaft bedeutet für den anderen Verantwortung zu übernehmen, ihm durch jede Geste und jeden Satz durch die innere Haltung mitzuteilen: Du bist mir wichtig! Du bist mir nicht egal! Ich passe auf dich auf. Auf mich kannst du dich verlassen.
In eine echte Freundschaft investieren wir viel. Wir machen uns dadurch verletzlich und hoffen insgeheim, dass dieser Mensch uns nie enttäuschen wird, denn dann tut´s weh - und zwar so richtig.
Doch bei allem Risiko und bei aller Belastung ist Freundschaft doch die schönste Zumutung die es gibt! Ohne einen echten Freund, fehlt so viel in unserem Leben!
In der Psychologie gibt es unzählige Studien über die Auswirkungen von Freundschaft auf die Psyche des Menschen. Man hat zum Beispiel herausgefunden, dass Menschen, die angeben, echte Freunde zu haben, seltener gestresst sind, was sicher wiederum extrem positiv auf unser Immunsystem auswirkt. Menschen, die mindestens einen wahren Freund haben, fühlen sich weniger einsam, selbst wenn sie alleine sind. Echte Freunde verhelfen dazu, dass wir kritische Situationen als weniger dramatisch wahrnehmen, weil wir wissen, dass wir nicht alleine dadurch müssen.
Wahre Freundschaft ist unbezahlbar!!!!
Ich hoffe sehr, dass auch du einen echten Freund hast, eine Person, auf die du dich immer verlassen kannst, die immer einen Schritt mehr für dich geht, weil du ihr wichtig bist. Einen Menschen, den du nachts anrufen könntest, wenn du nicht mehr weißt, wie du nach Timbuktu gekommen bist, der keine Fragen stellt, sondern einfach losfährt und dich abholt. Mit dem du Jahre später auf deine größten Krisen zurückschauen und darüber lachen kannst!
Wer ist dir beim Lesen in den Kopf gekommen? An wen denkst du, wenn du das Wort Freundschaft hörst?
Vielleicht ist heute ein guter Tag, dich bei deinem Freund zu melden und ihm zu sagen, wie froh du bist, dass es ihn gibt!
FREUNDliche Grüße
Svenja Lotze
Inspiriert über den Freundschaftsbegriff nachzudenken, wurde ich übrigens durch ein Seminar bei Dr. Klaus Schirmer zum Thema "Führen nach dem Freundschaftsprinzip" - mehr dazu unter https://www.klausschirmer.com/form-a-winning-team/